Der letzte Aufguss by Henn Carsten Sebastian

Der letzte Aufguss by Henn Carsten Sebastian

Autor:Henn, Carsten Sebastian [Henn, Carsten Sebastian]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492958288
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-10-14T10:35:02+00:00


KAPITEL 7

Masala Chai

Professor Bietigheim saß nach seiner Vorlesung im Büro im Institut für Kulinaristik und tat, als sei alles in Ordnung. Er stürzte sich in Routinearbeit, überarbeitete Handouts, sortierte die eingehende Korrespondenz und sah Aufsätze seiner Studenten durch. Aufgaben, die er wegen der Mordermittlungen vor sich hergeschoben hatte.

Vor ihm stand eine dampfende Tasse Masala Chai, die immer wieder aufgefüllt wurde. Seit Asha Ghalib wusste, dass er nie etwas Schlechtes über seine beiden Vorgänger gesagt hatte, behandelte sie ihn mit ausgesuchter Höflichkeit – und half sogar bei den Ermittlungen. Bietigheim hatte sie gefragt, ob der Earl, wie im Abschiedsbrief stand, Michael tatsächlich beschuldigt hatte, Geld aus der Institutskasse entwendet zu haben, und dies melden wollte. Woraufhin sie entschieden den Kopf geschüttelt und ihm versichert hatte, dass der Earl und Michael stets sehr gut miteinander ausgekommen waren – im Gegensatz zu Jonathan Cleesewood und Michael, deren Verhältnis stets distanziert gewesen sei.

Noch eine Lüge also, die Michael in seinen letzten Zeilen versteckt hatte.

Bietigheim senkte die Nase Richtung Chai, der verlockend duftete und Erinnerungen an das Weihnachtsfest aufkommen ließ, denn Aromen von Kardamom, Zimt und Nelken entströmten der Tasse, deren Inhalt so hellbraun und schlammig wie das Wasser des Ganges aussah. Bietigheim schätzte solch herrlich süßen Chai-Tee sehr. Erst am Morgen hatte er den Studenten erklärt, dass »Chai« nichts anderes als Tee und »Masala« auf Deutsch Gewürze bedeutete – und davon gehörten viele in die heiße Flüssigkeit. Die Basis eines Chai Masala war Schwarztee, dazu kamen Zucker oder Honig, Milch und eben Gewürze – gern auch Ingwer, Pfeffer, Muskat oder Lorbeerblätter. Jede indische Familie hütete ihr eigenes Rezept. Meist wurden zuerst die Gewürze mit Wasser aufgekocht, um die Aromen zu lösen, bevor Tee und Milch dazukamen.

Gerade hatte Bietigheim die Tasse angesetzt und einen Schluck genossen, als das Telefon ihn aus seinen Träumen von Indien riss. Er setzte sie langsam ab und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, bevor er das Gespräch annahm. Jemand hatte die direkte Durchwahlnummer genutzt.

»Institut für Kulinaristik der University of Cambridge, Professor Dr. Dr. Bietigheim am Apparat.«

»Hier ist Cumberland, die Obduktion ist durch. Kommen Sie zu mir, dann haben Sie das Ergebnis als Erster. Aber nehmen Sie den Hintereingang. Muss ja keiner wissen, dass Sie mich besuchen.«

»Bin bereits auf dem Weg!« Doch das stimmte nicht. Den Chai Masala genoss Bietigheim noch in aller Ruhe zu Ende – denn alles andere wäre ein Affront gegenüber Asha Ghalib gewesen. Und mit seiner Sekretärin sollte man sich niemals anlegen. Besonders nicht, wenn sie solch fabelhaften Tee zubereiten konnte.

Er hatte gerade seinen Mantel übergezogen und Benno mithilfe eines kurzen Pfeifkonzerts aus Bachs Wohltemperiertem Klavier geweckt, als es an der Tür klopfte.

»Herein!«

Mit leicht gesenktem Kopf trat Colin ein. »Herr Professor …«

»Leider mangelt es mir im Augenblick an Zeit. Könnten wir das Gespräch vielleicht verschieben?«

»Es wird nicht lang dauern. Und es ist wichtig.«

Bietigheim wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Setzen Sie sich bitte – aber machen Sie es sich nicht zu gemütlich.«

Colin nahm Platz. »Ich habe von den Vorwürfen Professor Tölers gehört. So etwas macht in Cambridge schnell die Runde.



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